Die drohenden Gefahren des Klimawandels und die damit verbundenen dynamisch wachsenden Anforderungen an nachhaltiges, klimaneutrales Wirtschaften konfrontieren die Industrie mit einem möglicherweise gravierenden Strukturwandel. Wie dieser aussehen und welche Branchen er in welchem Ausmaß betreffen wird, ist schwer zu prognostizieren. Allerdings eröffnen die zu erwartenden Veränderungen auch neue Perspektiven und Chancen.
Insbesondere vom sich abzeichnenden Aufschwung der Wasserstoffnutzung könnten viele Unternehmen in Baden-Württemberg profitieren. Als Grundlage für eine Beurteilung der sich ergebenden ökonomischen Chancen wurden im Rahmen des Projekts „Elektrolyse made in Baden-Württemberg“ die möglichen Umsatzpotenziale für Unternehmen in Baden-Württemberg ausgelotet. Zusätzlich wurden auch die damit verbundenen Beschäftigungspotenziale in dem zukunftsträchtigen Betätigungsfeld ermittelt.
Die Analyse der Komponentenstruktur von Elektrolyseanlagen am Beispiel einer alkalischen Druckelektrolyse mit Zuordnung der Bau- und Funktionsgruppen zu den jeweiligen Wirtschaftszweigen zeigt, welche Branchen besonders von einem Ausbau der entsprechenden Technologien profitieren können. Da viele der verwendeten Komponenten auch für andere Elektrolysesysteme eingesetzt werden können (z.B. Leistungselektronik, Wasserversorgung), lassen sich die Ergebnisse mit gewissen Einschränkungen auch auf Elektrolyseanlagen anderen Typs (PEM, SOEC) übertragen.
Die Gegenüberstellung mit dem Wirtschaftsprofil des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg verdeutlicht, inwiefern erforderliche Kompetenzen, die einen Einstieg in die Herstellung von Komponenten für Elektrolyseanlagen erleichtern, grundsätzlich bereits vorhanden sind. Die Ergebnisse zeigen, dass praktisch alle Anlagenteile Wirtschaftszweigen zuzuordnen sind, die in nennenswertem Umfang bereits in Baden-Württemberg vorhanden sind. In begleitenden Expertengesprächen wurde bestätigt, dass die für die Fertigung von Elektrolysesystemen und -komponenten erforderlichen Branchen auch grundsätzlich über das entsprechende Knowhow verfügen. Diese sind jedoch entsprechend für die Fertigung zu aktivieren, was u.a. über den begleitenden Industriedialog im Rahmen des Projekts „Elektrolyse made in Baden-Württemberg“ erfolgreich begonnen werden konnte.
Um neben der Vorteilhaftigkeit der Struktur des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg auch eine Einschätzung zu potenziellen Umsätzen, insbesondere auch durch den Export von Anlagen und Komponenten, ableiten zu können, ist der mögliche Gesamtmarkt für Elektrolyseure abzuschätzen. Ausgangspunkt hierfür ist die zukünftige Entwicklung der Nachfrage nach grünem Wasserstoff weltweit. Aus den nachgefragten Mengen wird die hierfür erforderliche Elektrolysekapazität abgeleitet. Mithilfe weiterer Angaben wie Daten zur Entwicklung von Investitionskosten verschiedener Elektrolysetechnologien, Wirkungsgraden sowie Welthandelsanteilen baden-württembergischer Unternehmen können schließlich die Umsatz- und Beschäftigungspotenziale konkret ermittelt werden.
Als untere Grenze („baseline“) für die Entwicklung des globalen Wasserstoffbedarfs wird die Nachfrage nach dem Sustainable Development Scenario (SDS) des World Energy Outlook 2019 angesetzt. Dieses geht von einer Steigerung der globalen Wasserstoffnachfrage auf rund 2.900 TWh bis zum Jahr 2030 und etwa 9.600 TWh bis zum Jahr 2050 aus. Die optimistische Entwicklung basiert auf der Auswertung aktueller Szenarien, welche die sich durch den Beschluss der Europäischen Union bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen ergebende Notwendigkeit eines breiten Wasserstoffeinsatzes berücksichtigen. Danach wächst die Nachfrage nach Wasserstoff weltweit auf ca. 4.300 TWh im Jahr 2030 und rund 20.500 TWh im Jahr 2050. Diese große Bandbreite zeigt die große Unsicherheit des zukünftigen Wasserstoffeinsatzes weltweit auf.
Auf Grundlage der weltweiten Wasserstoffnachfrage lässt sich – unter der Annahme, dass der Anteil grünen Wasserstoffs am Weltmarkt bis zum Jahr 2050 sukzessive auf 100% anwächst – der globale Bedarf an erforderlicher Produktionskapazität an Elektrolyseanlagen ermitteln. Je nach Szenario beträgt die benötigte Elektrolysekapazität bis zum Jahr 2030 80 bis 120 GW sowie bis zum Jahr 2050 2.900 bis 6.200 GW.
Aus dem jährlich erforderlichen Anlagenzubau und den dafür benötigten Investitionen (inkl. Ersatzinvestitionen sowie Anlagenwartung) wurde unter Verwendung branchenspezifischer Welthandelsanteile baden-württembergischer Unternehmen das Umsatz- und Beschäftigungspotenzial für Baden-Württemberg ermittelt. Dabei wurden zwei mögliche Entwicklungen betrachtet: die ambitionierte Entwicklung unterstellt, dass es den Unternehmen des Landes gelingt ihre aktuellen (wirtschaftszweigspezifischen) Welthandelsanteile auch in Zukunft zu halten. Für die verhaltene Entwicklung wurde angenommen, dass die aktuellen Welthandelsanteile bis 2030 stabil bleiben und sich dann bis 2040 halbieren und bis 2050 auf ein Viertel des aktuellen Wertes zurückgehen, was nach Einschätzung von Expertinnen und Experten eine plausible Entwicklungsmöglichkeit darstellt.
Das mittlere jährliche Umsatzpotenzial liegt je nach unterstelltem Weltmarktanteil und je nach Entwicklung des Wasserstoffbedarfs für die Dekade 2031 bis 2040 zwischen 0,8 bis 2,1 Mrd. Euro/a. Für den Zeitraum von 2041 bis 2050 wurde ein Umsatzpotenzial der baden-württembergischen Industrie von durchschnittlich 1,5 bis 8,4 Mrd. Euro/a ermittelt. Das damit verbundene Beschäftigungspotenzial (unter Berücksichtigung wirtschaftszweigspezifischer Arbeitskoeffizienten) beträgt für den Zeitraum 2031 bis 2040 ca. 3.600 bis 9.700 Arbeitsplätze und für den Zeitraum 2041 bis 2050 rund 6.600 bis 36.900 Arbeitsplätze. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren in den baden-württembergischen Sektoren Herstellung von Metallerzeugnissen und Maschinenbau rund 162.000 bzw. 335.000 Personen beschäftigt.